2. KAPITEL
»Freiwillige vor', stand auf den Schildern. ,Für ein sicheres und fröhliches Halloween'.
In den Fluren der Sunnydale High summte es wie in einem Bienenkorb. Überall waren Halloween-Dekos aufgehangen. In einer Halle stand ein langer Tisch, an dem eine ganze Reihe Kids hinter säuberlich ausgelegten Listen saßen. Daneben stand Snyder, der Schuldirektor. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und ließ seine wachen Augen über die Menge schweifen. Heute sah er noch verschlagener aus als sonst. Völlig klar, er lag auf der Lauer.
Ein Mädchen schlenderte nichtsahnend vorbei, als er es am Arm festhielt.
„Hey!" rief die Schülerin verblüfft. Sie versuchte sich loszuwinden, doch der Griff des Rektors war eisern.
„Sie werden Freiwillige!" befahl er.
„Aber ich muß doch in meine Klasse ..."
Sein Griff schloß sich noch ein wenig fester um ihren Arm. Er schob sie in Richtung Tisch, auf dem die Listen auslagen. Genau in diesem Augenblick spazierten Buffy, Xander und Willow vorüber und machten große Augen.
„Snyder soll sich anscheinend dieses Jahr um die Rekrutierung der Freiwilligen kümmern”, bemerkte Willow.
Xander zog die Schultern hoch und bohrte seine Hände tiefer in die Taschen. „Interessant, wie er den Begriff ,Freiwillige' auslegt”, meinte er trocken.
Buffy warf einen argwöhnischen Blick auf den Tisch. „Worum geht's?”
„Die Kleinen brauchen Leute, die sie an Halloween auf ihrer Sammeltour begleiten”, erklärte Xander abgrundtief gelangweilt. „Trag dich nur ein, dann kriegst du deine eigene Truppe süßigkeitensüchtiger Rotznasen.”
„Igitt! Da bleib ich doch lieber bei den Vampiren ...”
Buffy hielt abrupt inne, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Rektor Snyder blickte mit unverhohlenem Grinsen auf sie herab.
„Ms. Summers. Genau die jugendliche Missetäterin, nach der ich gesucht habe.”
„Rektor Snyder”, sagte Buffy, bemüht, höflich zu klingen.
Es fiel ihr stets schwer, beim Anblick dieses Mannes ernst zu bleiben. Mit seiner Halbglatze und den riesigen Ohren sah er einem Troll erstaunlich ähnlich.
„Halloween muß ja für Sie ein ganz besonderer Abend sein, was?” fuhr der Rektor sarkastisch fort. „Da darf man mit Eiern werfen. Sie gezielt auf Autos schmeißen. Die ganze Nachbarschaft mit Hilfeschreien um den Verstand bringen. Tja, mein Fräulein - aber heute läuft das nicht.”
Bevor Buffy antworten konnte, schob er sie mit Nachdruck auf den großen Tisch zu. Xander und Willow trabten widerwillig hinterher.
„Mein Gott, wie gerne würde ich hier mitmachen”, schwärmte Buffy, während sie verzweifelt nach einer Ausrede suchte, „aber leider hab ich vor kurzem . . . das Handwurzel-Tunnel-Syndrom bekommen und kann leider keine Taschenlampe mehr halten.”
Rektor Snyder drückte ihr einen Kugelschreiber in die Hand. Willow sah langsam etwas beunruhigt aus.
„Die Begleitung beginnt um vier, um sechs müssen die Kinder zu Hause sein”, erklärte Snyder.
Buffy starrte ungläubig auf eine lange Liste von Namen.
Xander und Willow blickten einander an und dann auf die Kugelschreiber, die Rektor Snyder ihnen entgegenhielt.
Da jeder Widerstand zwecklos schien, trugen sie sich ein.
„Ich glaub's einfach nicht!" grollte Xander, als die drei in die Cafeteria gingen. „Sollen wir uns jetzt etwa auch noch verkleiden?"
„Snyder sagte, Kostüme seien Pflicht", seufzte Willow.
Buffy rang sich ein gequältes Lächeln ab. „Na toll! Ich wollte eigentlich zu Hause bleiben und mal richtig abhängen. Halloween ist die einzige Nacht im Jahr, in der es für mich ruhig läuft."
„Halloween soll's ruhig sein?" Xander warf ihr einen verdutzten Blick zu. „Ich dachte, Halloween wäre die große Vampir-Angstmach-Party."
„Giles meint nicht. Er schwört, daß morgen abend für die Untoten so was wie eine tote Nacht ist. Sie bleiben alle daheim."
„Diese durchgeknallten Vampire!" Xander schüttelte den Kopf. „Das liebe ich so an ihnen: Immer geben sie dir neue Rätsel auf."
Er blieb am Getränkeautomaten stehen, während sich Buffy und Willow an einen Tisch setzten. Xander warf ein paar Münzen in den Automaten und wartete auf seine Limonade, aber nichts geschah. Er schlug mit der Faust gegen den Automaten und stieß ein paar ausgesuchte Flüche aus.
„Harris!" dröhnte eine Stimme.
Xander blickte auf und sah, wie sich eine große, fleischige Hand auf seine Schulter senkte. Die Hand gehörte Larry, einem gemeingefährlichen Bodybuilder, der nicht gerade zu Xanders Freunden zählte.
„Larry", grüßte Xander ihn cool. „Na, alter Neandertaler, was kann ich für dich tun?"
Larry warf einen Blick zum Tisch, an dem Buffy und Willow saßen. Die beiden Mädchen waren so ins Gespräch vertieft, daß sie es nicht bemerkten.
Larry beugte sich vertraulich vor. „Du und Buffy - ihr seid doch nur befreundet, oder?"
„Ich betrachte es weniger als Freundschaft, sondern als feste Grundlage für ein zukünftiges Glück", konterte Xander.
„Also ist sie nicht deine Freundin?" hakte Larry ungehalten nach.
„Leider nein."
„Glaubst du, sie würde mit mir ausgehen?"
„Tja, Larry, das ist schwer zu sagen . .. aber wenn ich's mir recht überlege, hast du keine Schnitte."
„Warum denn nicht? Ich habe von ein paar Typen gehört, daß sie ein echt heißer Feger ist."
Xander fing langsam an zu kochen. „Was willst du denn damit sagen?"
„Du weißt schon, was ich meine", entgegnete Larry und grinste ihn anzüglich an.
Xander wurde rasend. Er packte Larry am T-Shirt und zog ihn zu sich herunter. „Du redest hier über meine Freundin", gab er dem Hünen zu verstehen.
Larry war nicht besonders beeindruckt und schon gar nicht eingeschüchtert. Er fand Xanders Ausbruch witzig und fühlte sich nun erst recht zum Streit angespornt. Mit einem schiefen Grinsen richtete er sich zu seiner vollen Größe auf.
„Ach ja? Und was willst du dagegen machen?"
Xander wich nicht von der
Stelle.
„Ich mache, was jeder Mann dagegen tun würde", stotterte er.
„Etwas .. . verdammt Tapferes."
Mit einem heftigen Schubs versuchte er, Larry gegen den Getränkeautomaten zu drücken, vermochte seinen Gegner aber kaum von der Stelle zu bewegen. Voller Angst sah er, wie Larry ausholte und auf sein Gesicht zielte - und stellte sich in Gedanken auf die zu erwartende Verstümmelung ein.
Aber nichts passierte. Im letzten Augenblick hatte sich eine andere Hand zwischen Larrys Faust und Xanders Gesicht geschoben. Buffy packte Larry an den Schultern, drehte ihm die Arme auf den Rücken und knallte ihn mit Wucht gegen den Automaten.
Eine Gratislimonade fiel in den Schacht.
„Hau ab", sagte Buffy.
Während Larry gehetzt davonrannte, fischte sie eine Dr. PepperLimonade heraus und grinste erfreut. „Ohhh. Diätlimo."
Dann erst registrierte sie, daß Xander völlig versteinert dastand und sie entgeistert anstarrte.
„Weißt du, was du gerade getan hast?" brach es aus ihm heraus.
Buffy überlegte, „'n Dollar gespart?"
„Larry wollte mich gerade verprügeln!" rief Xander.
„Ach das", sagte Buffy mit einem Schulterzucken. „Vergiß es einfach!"
Xander funkelte sie wütend an. „Werde ich!" fauchte er. „Vielleicht so in zwanzig bis dreißig Jahren. Wenn mein Ruf als Schwächling allmählich verblaßt ist."
Buffy war völlig überrascht. „Xander, was ist denn mit dir los?"
„Ein blaues Auge heilt wieder”, belehrte er sie. „Aber Feigheit hängt einem das ganze Leben an. Trotzdem danke, Buffy. Danke für deine Hilfe.”
Er stampfte davon. Buffy und Willow warfen sich vielsagende Blicke zu.
„Ich habe wohl gerade die Regeln der Männerwelt verletzt”, gab Buffy zu. „Ist ja super gelaufen.”
Sie setzte sich wieder, während Willow seufzte und beifällig nickte.
„Der arme Xander. Jungs sind ja so empfindlich.” Dann hellte sich ihr Gesicht auf. „Da fällt mir ein - wie war denn dein Date gestern abend?”
„Ein Fehlschlag.” Buffy runzelte die Stirn. „Ich habe mich verspätet, weil mir ein außerplanmäßiger Vampir über'n Weg gelaufen ist. Außerdem sah ich aus wie aus dem Mülleimer gezogen.” „War Angel wütend?”
„Ehrlich gesagt, schien er alles andere als wütend zu sein. Was vielleicht damit zusammenhing, daß Cordelia ihm bei einem Cappuccino schöne Augen machte.”
Willow lächelte ihre Freundin aufmunternd an. „Buffy, Angel würde nie auf ihre Show reinfallen.”
„Meinst du diese »zufällig aufkreuzen, ein tolles Outfit tragen und mit den
Wimpern klimpern' -Show?”
„Du weißt, was ich meine. Sie ist nicht sein Typ.”
„Bist du sicher? Ich meine, ich weiß gar nicht so genau, wer sein Typ ist.” Buffy klang mutlos und ein wenig traurig. „Ich weiß nicht, was ihn anmacht oder abturnt oder wie er sich einen gelungenen Abend vorstellt. Ich kenne ihn ja noch nicht mal ein Jahr, und er ist nicht sonderlich mitteilsam.”
Willow hörte mitfühlend zu. „Stimmt. Es ist zu dumm, daß wir nicht in den Tagebüchern der Wächter nachgucken und alles über Angel nachlesen können. Ich bin sicher, da stehen jede Menge Details drin.”
Buffy starrte Willow an. Die Tagebücher der Wächter! In ihrem Kopf begannen die Gedanken zu rotieren, und schon nahm ein Plan Gestalt an.
„Ja, das ist zu dumm”, sagte sie uninteressiert. „Diese Bücher sind höchst privat.”
„Und außerdem hat Giles sie im Büro, unter seinen Personalakten.” Buffys Stimme senkte sich zu einem verschwörerischen Flüstern. „Und außerdem ist es verboten. ”